Israel

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Vor einiger Zeit besuchte ich ein Land, von dem behauptet wird, dass dessen jüdische Bewohner vom Gott auserwählt sind. Ich habe so meine Zweifel daran. Araber, die in den anliegenden Ländern leben, bekamen vom Gott Erdgas und Erdöl und Israel überwiegend lediglich Wüstensand. Und doch schaffte es diese jüdische Insel trotz feindlicher Umzingelung des arabischen Meeres zu überleben, und nicht nur das. In einem geradezu wundersamen Sieg im sechstägigen Krieg bezwang sie eine dreifache Übermacht und im Jom-Kippur-Krieg schaffte sie es trotz schwerer Verluste diesen Sieg zu bewahren.

Schließlich baute sie für ihre jüdische, aber auch arabische Bewohner Wohlstand auf. Manche sagen, dass dahinter amerikanische Kriegstechnologien oder jüdisches Geld aus aller Welt stecken. Vielleicht, doch würde dies nicht reichen um sechs Millionen Juden in einer Umzingelung von achtzig Millionen Arabern zu stützen, einen modernen Staat mit einer Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Bildung von Weltrang zu errichten. Um ein Nationaleinkommen, das doppelt so hoch ist, wie das Slowakische, wodurch der jüdische Staat zu den fortschrittlichsten in der Welt zählt, zu erreichen. Und das stets auf der Hut, sozusagen mit einer Maschinenpistole auf der Schulter. Ich überlegte, womit Juden die Gunst Gottes, der ihnen offensichtlich die Daumen hält, wohl gewonnen haben. In Jerusalem bin ich darauf gekommen.

Vor einiger Zeit sah ich buddhistische Pilger in der tibetischen Lhasa, wie sie vor Statuen ihrer Lamas und Götter dermaßen auf Knien krochen, dass der steinerne Boden vor dem heiligsten Jokhang-Tempel vollkommen glänzte. Ich sah Moslime in der Moschee Hagia Sophia in Istanbul, wie sie barfuß und kniend ihren Allah anbeteten, und ich sah Christen bei einer Wallfahrt in Leutschau, im Petersdom in Rom oder in der Grabeskirche in Jerusalem, wie sie in Demut und auf Knien ihren Gott und seinen Sohn Jesus huldigten. Als ich während der Gebete der Buddhisten den Jokhang-Tempel, der Christen die Grabeskirche oder der Moslime die Hagia Sophia betrat, wurde mir klar zum Ausdruck gegeben, dass ich im Weg bin und störe. Daher näherte ich mich dem heiligsten Ort des Weltjudentums, der Klagemauer in Jerusalem, etwas beängstigt und mit der Erwartung, dass ich – wie bereits anderswo – verjagt werde.

Ich setzte ein Käppchen auf den Kopf und ging vorsichtig auf die Mauer zu. Mit freundlichen Gesten und Blicken wurde ich eingeladen näher zu trten. Ich war niemandem lästig und störte auch keinen. Eine Weile stand ich an der Mauer, doch meine Neugier ließ nicht locker, und ich betrat die Synagoge, in der als ob die Mauer weiterführte. Da war ich auch niemandem im Weg. Ich betrat die innersten Räumlichkeiten. Überall beteten, diskutierten, sangen, lächelten und tanzten Juden, die kamen um mit Gott zu reden. Einer auf stille Weise, der andere etwas lauter, sie befragten und kritisierten ihn und dankten ihm vor allem.  Nicht einem jüdischen Gott, sondern einem Gott – dem Vater aller. Juden haben keinen exklusiven Gott.

Ich nahm einen Stuhl und beobachtete sie. Sie baten Gott um nichts, sie sprachen mit ihm. Sie winkten ihm, applaudierten, zeigten ihm die Thora, diskutierten mit ihm. In Gedanken sah ich Bilder von christlichen, moslemischen und buddhistischen heiligen Orten. Überall beteten Gläubige ausschließlich ihren eigenen Gott an. Und alle auf Knien. Juden beteten zu Gott mit Würde. Im Stehen oder sitzend. Ich sah keinen einzigen Juden auf Knien. Und da ist mir klar geworden, warum Gott ihnen die Daumen fester drückt als den anderen. In seiner Größe und vollkommener Liebe liebt er Christen, Moslime, Juden, Buddhisten, Hindus und Atheisten gleich. Er liebt Menschen. Gute Menschen. Und vor allem selbstbewusste Menschen. Solche die ihr Schicksal nicht in seine Hände legen, sondern es fest in den eigenen Händen zu halten versuchen. Solchen ist er dann gern behilflich.
Bei der Klagemauer ist mir bewusst geworden, warum der Staat Israel trotz unvorteilhaftem Schicksal gedeiht, warum Juden das auserwählte Volk sind. Sie stehlen nicht, sonder handeln, sie erbitten nicht, sondern diskutieren. Mit Gott ein Gespräch führen kann jedoch nur ein selbstbewusster und daher freier Mensch. Einer, der selbst denkt und anstatt dem nicht andere denken müssen. Gott gab dem Menschen Verstand, damit er denkt, und nicht, damit er nicht denkt. Jemand, der nicht denkt, scheint sich über Gott lustig zu machen, als ob er Gott beweisen wolle – ich brauche deinen Verstand  nicht, denn andere denken für mich und sagen mir, was und wie ich denken soll. So ist es bequemer. Juden haben keine Vermittler – Priester, Lamas oder Muftis, welche Gottes Wort für sie interpretieren würden. Dieses versuchen sie selber zu verstehen. Sie vertrauen vor allem sich selbst und erst dann auf Gott.

Auch wenn der heilige Ort in Jerusalem die „Klagemauer“ genannt wird, niemand klagte dort, sie standen voller Würde vor Gott. In der nicht weit entfernten christlichen Grabeskirche klagten alle. Auf Knien.

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