Warum Sie Die Jubelzone lesen sollten
Der Zufall wollte, dass ich vor Kurzem das Buch Jubelzone von Jozef Banáš in die Hände bekam, und ich war überwältigt. Von erster Seite an war ich völlig gefesselt von einem Buch, das zum Literaturereignis der Gegenwart werden sollte; und fragen wir uns, warum dies nicht geschah. Die Jubelzone ist ohne große Übertreibung DAS Buch, auf welches die tschechoslowakische Gesellschaft zwanzig Jahre lang wartete.
Wie viele Bücher sind denn erschienen, welche die letzten zwanzig Jahre des kommunistischen Regimes beschreiben würden – und das in mehreren Ländern zugleich: DDR, BRD, CSSR und UdSSR. Die Jubelzone ist wortwörtlich ein „mitteleuropäisches“ Buch, das die Geschichte von vier Ländern zusammenfügt. Ein solches Buch, wage ich zu sagen, wurde noch nicht herausgegeben. Wir, Tschechen, können uns schämen, dass keiner der tschechischen Schriftsteller genügend Ehre und Mut hatte, dies zu schreiben – ein Slowake musste es tun – und gleichzeitig können wir froh sein, dass es gerade er schrieb. Lasst uns jetzt ein wenig über Jozef Banáš sagen.
Seinen Namen nahm ich das erste Mal ungefähr vor einem halben Jahr im Zusammenhang mit seiner berühmten Tochter Adela Banášová in Kenntnis, welche die beliebte Fernsehsendung Tschechoslowakischer Superstar moderierte. Adela Banášová sprach über ihren Vater so nett, dass ich zu googeln versuchte und in seiner interessanten Vergangenheit stöberte. Diese umfasst eine diplomatische und darauffolgende politische Karriere vor und nach November 1989. Auf seinen diplomatischen Stationen begegnete er weise Menschen, aber natürlich auch solche, die ideologisch infiziert waren. Wie es im Motto des Buches heißt – Die Vergangenheit jedermanns erkennst Du daran, wie er sich heute verhält. Jozef Banáš wurde der Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst bezichtigt; er wehrt sich gegen diese Anschuldigung bereits zwanzig Jahre lang, und vielleicht wird er sich genau so lang noch wehren. Lasst uns doch all dies beim Lesen des Buches, über das ich heute etwas schreiben möchte vergessen.
Denn egal wie die Vergangenheit von Jozef Banáš nun wirklich ist, verbirgt sich in diesem Roman ein Schatz.
Eine einfache, fast eine abgedroschene Geschichte: Ein junger Slowake lernt bei einem sportlichen Ereignis im Jahr 1968 in der Ukraine eine junge Ukrainerin kennen, es wird Liebe auf den ersten Blick, er macht ihr ein Kind, und nach der Invasion fünf befreundeter Armeen stellt sich eine unüberwindbare Barriere zwischen sie. Sie lebt weiter ihr eigenes Leben und er seins. Ebenso ein junger Westdeutscher, der sich mit dem jungen Slowaken anfreundete, musste auf der anderen Seite der Barriere bleiben. Der junge engagierte linksorientierte Aktivist nimmt in der Zwischenzeit aktiv am öffentlichen Leben des demokratischen Deutschlands teil. Die Kluft zwischen den drei Menschen von einem kleinen Kontinent scheint unüberwindbar zu sein. Wie drei verschiedene Universen spielen sich kleine und größere Dramen ab, die bildhaft und mit chirurgischer Genauigkeit die Schönheit und auch den Gräuel der damaligen Zeit darstellen.
Mitteleuropa und die Sowjetunion der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gleichen einem Aquarium – ein in sich gekehrtes, schwerfälliges und korrumpiertes System, das weder Energie noch Mittel verfügte, um die elementaren Bedürfnisse seiner Bevölkerung zu befriedigen. Jozef Banáš zerstört jedoch gleichzeitig idyllische Vorstellungen vom Westdeutschland, stellt es mehr oder minder als ein Marionettenregime der USA dar, oder zumindest solchen Eindruck gewann ich aus seiner Schilderung der damaligen Situation in der BRD. Dies alles bildet die Grundlage für gleich mehrere sehr eindrucksvolle Lebensgeschichten, die an sich in jeglicher Umgebung bestehen würden. Eine vom unterdrückten freien Geist der Menschen und von einem durch die Berliner Mauer getrennten Volk gekennzeichnete Umgebung verleiht den Geschichten eine weitere Dimension.
Jozef Banáš war als Diplomat und Politiker tätig – und dies zeichnet sich im großen Ausmaß an seinem Buch ab. Teil des Romans sind „Rekonstruktionen“, oder vielleicht eher fiktive Rekonstruktionen einiger Ereignisse, die den Rahmen der damaligen Zeit bildeten. Verhandlungen des sowjetischen Botschafters mit dem amerikanischen Präsidenten, Schilderung der Verhandlungen im Kreml und weitere Passagen sind interessante Würze, ohne die das Buch jedoch locker auskommen würde. Ich denke, Jozef Banáš konnte zwei Gründe dafür haben, diese Abschnitte im Buch zu belassen: Erstens – es ist für den Leser attraktiv, den amerikanischen Präsidenten als einen einfachen Fan des amerikanischen Footballs zu sehen, oder Leonid Breschnew, wie er mit der Invasion in die CSSR zögert. Vielleicht aber wollte Jozef Banáš jüngeren Lesern auf eine attraktive Art und Weise die Hauptdarsteller der damaligen politischen Welt vorstellen. Auch wenn ich das Auslassen dieser Passagen ruhig verschmerzen würde, denke ich nicht, dass sie dem Buch deutlich schaden würden. Das Buch erinnert ein wenig an ein Drehbuch, wenn wir für einen Augenblick die fesselnde Geschichte verlassen, um der damaligen Zeit, welche dem erzählten Bild den Rahmen verleiht, das Wort zu geben.
Beim Lesen dieses außerordentlich interessanten Buches hatte ich ein kleines Problem, das ich bisher in keiner Rezension (einschl. slowakischer), die ich lesen konnte, erwähnt fand. Das Buch ist als eine Geschichte von 1968 bis 2008 konzipiert. Im letzten Teil widmet sich somit der Autor der Zeit nach der Wende vor allem in der Slowakei. Obwohl es ein interessantes und kontroverses Thema ist, das auf seine Weise hinter die Geschichte einen absurden Schlusspunkt setzt, wirkt es auf mich wie verlängerte Soße. Zwar werden die wahre Geschichte des Bösewichts Jan Winter und sein wahrer Charakter enthüllt (was gerade den ausgezeichneten Schlussstrich des ganzen Buches ausmacht), sonst aber widmet sich Jozef Banáš zu viel der slowakischen Politik nach der Wende. Ich denke, dass dies an sich ein ergiebiges Thema für einen selbstständigen Roman ist, hier wirkt es eher flach und zweckmäßig.
Das Buch ist dank seinem Thema recht kontrovers. Insbesondere da es auch über Menschen erzählt, die weiterhin aktiv am slowakischen öffentlichen Leben teilnehmen. Und so mehren sich Spekulationen, wer eigentlich Jan Winter ist – und glauben Sie mir, die Antwort auf diese Frage zu finden ist gar nicht so schwer. Für mich persönlich war aber viel heftiger, wie Jozef Banáš die Gestalt beschrieb, die dem verstorbenen Ján Langoš sehr ähnelt. Es ist allgemein bekannt, dass Ján Langoš und Jozef Banáš einen Streit hatten – Ján Langoš verweigerte die vom Staatsgeheimdienst geführte Originalakte über Jozef Banáš zu veröffentlichen. Die Gestalt, welche Langoš so sehr ähnelt, wird auf eine eher würdelose Art und Weise dargestellt. Die Beschreibung kann absolut zutreffend sein, dennoch macht sie auf mich den Eindruck einer kleinen persönlichen Rache.
Trotz beider kleiner Vorbehalte bin ich überzeugt, dass Die Jubelzone ein Buch ist, welches jeder Wähler lesen sollte, bevor er seine Stimme in die Urne wirft. Ich würde es allen Kindern in der Grundschule empfehlen, wo das Buch beim Unterricht moderner Geschichte als Lernhilfe dienen könnte. Jozef Banáš ist ein erfahrener Schriftsteller, dem tschechischen Leser jedoch unbekannt. Schade.
Zu Beginn der Kritik schrieb ich: Fragen wir uns, warum das Buch zu keinem Literaturereignis wurde. Ich suchte nach Buchkritiken, und Google fand nur eine einzige – in der Zeitschrift Tvar und dann eine kurze Annotation auf der Internetseite Novinky.cz. Respekt, Literární noviny, Lidové noviny, iDnes und weitere Server ergaben überhaupt keine Suchtreffer. Über das Buch wird nicht gesprochen, nicht geschrieben, als ob es gar nicht existieren würde. Und so ist es mit fast allem, an dem was daran ist. Zeitungen und Zeitschriften überbieten sich in Rezensionen über Dan Browns neuestes Buch, das zum hundertachtundfünfzigsten Mal aufs Gleiche kommt – mit keinerlei Änderungen in Stil, Sprache oder Aufbau der Geschichte. Die Jubelzone, welche in der Slowakei zum Buch des Jahres 2008 gewählt wurde, ist bei uns ein Aschenputtel, das von kaum jemandem wahrgenommen wird.
Die Jubelzone ist ergreifend und erinnert Sie an Zeiten, in denen Freiheit keineswegs zu den Selbstverständlichkeiten gehörte. Dies sind die wichtigsten Gründe, warum Sie das Buch lesen sollten.
Tomáš Fojtík, Pankaplan, Tschechische Republik