Feminität
Ich denke, das Wort Feminität wird als Weiblichkeit übersetzt und ihr Gegenpol als Männlichkeit bezeichnet. Männer erfanden jedoch das Wort Mannhaftigkeit und förderten dadurch eine unauffällige Bedeutungsverschiebung. Mannhaftigkeit ist etwas anderes als Männlichkeit. Bei Frauen gibt es keine solche Verschiebung, und doch scheinen sie öfters männlicher zu sein als Männer selbst.
Mit voranschreitender Zeit wird dies immer klarer. Mannhaftigkeit bedeutet für mich Tapferkeit, Mut, Entschlossenheit. Vor Kurzem war ich in Dresden. Eine Stadt – Perle der europäischen Kultur mit dem weltberühmten Zwinger, der Semperoper, eine Stadt ohne Rüstungsindustrie. Und doch wurde diese kurz vor Kriegsende total zerstört. Von Männern. Amerikanischen und britischen. (Anm. – russische bzw. sowjetische Flieger nahmen an diesem schamlosen Töten von wehrlosen Menschen nicht teil). Die Stadt wurde nach dem Krieg von Frauen erbaut. Von Trümmerfrauen. Den wirklichen Kriegsheldinnen. Während ihre Männer große Weltprobleme mit Waffen in den Händen lösten, kümmerten sie sich um die kleinen alltäglichen Probleme, die von ihren Männern von Weltrang angerichtet wurden. Sie bestatteten die Toten, trösteten Lebenden, mit Geduld putzten sie Milliarden von Ziegelsteinen, aus denen sie neue Häuser errichteten. Bienen der Ruinen, Bienen des Krieges und Bienen des Friedens. Wie auch Frauen im britischen Covent, vietnamesischen My Lai, tschechischen Liditz, russischen Leningrad. Auch wenn der ursprüngliche Name der weltberühmten Frauenkirche „Kirche Unserer Lieben Frau“ (Maria) ist, nehme ich an, dass die volkstümlich gewordene Bezeichnung „Frauenkirche“ viel besser passt. Sie ist ein Symbol des Leidens, der Aufopferung und Tapferkeit aller Frauen dieses Landes. Nicht nur der Frauen Deutschlands und der Frauen im Krieg. Zarte Frauenhände putzten in der ganzen Geschichte und putzen weiterhin Ziegel aus Ruinen, die nach den Taten der Männer bleiben. Sie üben Weiblichkeit in der Praxis aus. Mitgefühl, Verständnis, Vergebung, Fürsorge, Gutes. Liebe. Sie sind ein Kompass, der uns die korrekte Richtung zeigt. Kompass stammt vom Wort compassion – Mitgefühl. Als ob derjenige, der den Kompass erfand, uns darauf hinweisen wollte, dass wir uns auf unserem Weg durch das Leben vom Mitgefühl leiten sollen. Frauen haben diesen Verweis verstanden. Das Leben gibt ihnen Recht. Die Menschheit steuert auf Weiblichkeit zu. Das Zeitalter der Fische, Zeitalter der Kraft, des groben männlichen Materialismus endet und das Zeitalter des Wassermanns, Zeitalter des Geistlichen und des Mitgefühls beginnt. Das ständig wachsende Interesse an geistlichen und esoterischen Themen deutet darauf hin. Leider interessieren sich dafür fast ausschließlich Frauen. Männer lachen sie sogar in ihrer Aufgeblasenheit aus. Noch. Ich weiß, wovon ich spreche, bei Leseabenden mit meinem Roman Kode 9 begegnete ich über fünf Tausend Menschen und vielleicht bis zu zwei Hundert davon waren Männer. Ich weiß nicht, wo sie das Leben verbringen, befürchte aber, dass es ihnen zwischen den Fingern zerrinnt. Vielleicht verkümmern sie mit einem Bier in der Hand beim Lösen schwerwiegender Probleme der Menschheit. Verbrechen, Strafen, Politik, Business, Zinssätze und Verlässlichkeit der Viagra. Sie haben keine Zeit, sich unwichtigen Dingen zu widmen. Von Liebe erfahren sie aus der Zeitung, oder verwechseln sie mit Sex. Erotische Salons benannten wir Tempel der Liebe und mit Suff stoßen wir auf die Gesundheit an. Normale Lebensmittel ohne Pestizide und Kunstdünger bezeichnen wir BIO und Früchte, die mit Pestiziden behandelt sind, halten wir für das Wahre. Eine Impfung gegen Grippe gilt als normal und Menschen, die sich abhärten, als komisch. Ich weiß nicht, ob es Dummheit, Unwissenheit, Bequemlichkeit ist, vielleicht eher Verstellung. Die ist meiner Meinung nach das größte Problem der slowakischen Gesellschaft. Was aber verständlich ist, da bei uns die Grundregeln des Verhaltens jahrhundertelang von der katholischen Kirche bestimmt wurden, einer ausschließlich männlichen Organisation, einer Organisation, in welcher die Verstellung einen integralen Bestandteil ihrer Existenz darstellt. Als ein herrliches Beispiel der Verstellung mag die unlängst geführte Diskussion im slowakischen Parlament dienen, während der sich christliche Abgeordnete gegen Homosexuelle aufbäumten. Abgeordnete, deren Meinung von einer Institution geformt wird, in der sich in den USA zur Homosexualität ein Drittel der Priester bekannten. Ein ehemaliger slowakischer Priester verriet mir, dass in seinem Seminar von 31 Studenten 22 anders orientiert waren. Ich bin nicht gegen Homosexuelle, sondern gegen Verstellung.
Der männliche Hochmut erfand sogar die Bezeichnung Frauenliteratur. Ich las einige Bücher von Frauenautoren. Ich habe das Gefühl, dass gerade die sogenannte Frauenliteratur der Wirklichkeit entspricht, denn sie ermöglicht den Frauen wenigstens für wenige Augenblicke die Probleme zu vergessen, welche ihnen die männliche Welt verursacht. Sie ist voll von Glauben, Mitgefühl, Verständnis. Sie erzählt davon, was ein selbstverständlicher Bestandteil unserer Leben sein sollte – von der Liebe. Liebe ist erst dann wirklich, wenn man über sie nicht nur spricht, sondern sie auch lebt. Die Frauenkirche in Dresden ist ein Beweis dafür, dass Frauen die Liebe leben, sie ist ein Symbol der unerschöpflichen Energie unserer Mütter, Ehefrauen, Schwestern, Töchter. Die Frauenkirche gibt mir die Hoffnung, dass sich die Welt zum Besseren entwickelt. Zur Feminität.
Feminity, Winter 2012